Autobiografische Notizen

verfasst von Waldemar Dege im April 1989 für eine Sendung im DLF mit Emmy Hauptmann

Ich wurde 1934 in Polen, in einem kleinen Ort nahe Bialystok geboren. Meine Eltern waren Arbeiter, die Mutter Polin, der Vater Deutscher. Infolge des Krieges kam die Familie 1940 nach Deutschland, in die südmärkische Kleinstadt Luckenwalde, wo ich die Schule besuchte. In Berlin studierte ich Mathematik und arbeitete danach bis 1980 vorwiegend in der Datenverarbeitung. Seitdem bin ich freiberuflicher Autor und Nachdichter.

Ich schreibe nicht mit dem Vorsatz, Literarisches fertigzubringen. Zwar gab es, wie bei vielen, auch bei mir bereits früh die Freude am Formulieren. Das wäre aber eine private Angelegenheit geblieben, hätte ich nicht im Laufe von zwanzig Berufsjahren die zunehmend wachsende Lust gespürt, in bezug auf das eine oder andere Problem allgemeinen Interesses den "eigenen Senf dazuzugeben": vernehmlich, öffentlich. Nicht, weil da irgendwelche Wahrheiten zu verkünden waren, sondern um mitzureden. Als Normalbeschäftigter besitzt man diese Möglichkeit in den Grenzen der von mir bewohnten Weltgegend nur in äußerst geringem Maße. Beispielsweise sind die Zeitungen vielfältigen Publikumsmeinungen weitgehend verschlossen. Alle Medien dienen im Wesentlichen der Verbreitung einer einzigen, der "richtigen", "wissenschaftlich begründeten" Ansicht. Merkwürdigerweise ist in Büchern ein "falsches" Denken erlaubt, falls es die aktuell existierenden Tabus nicht allzu grob verletzt. Aus diesem Grunde entschloß ich mich, die Mathematik aufzugeben und freiberuflicher Schreiber zu werden.

Ich hatte Glück; meine Gedichtbändchen wurden gedruckt, drei liegen mittlerweile vor. Aber es gab keine Kritiken, keine Rezensionen, kaum eine Erwähnung. Zu öffentlichen Lesungen auf dem Territorium des für mich zuständigen Staates wurde ich bis jetzt nicht eingeladen. Es war also nichts mit der erwünschten breiteren Vernehmbarkeit. Das spärliche Leserecho kommt erfreulicherweise von den sogenannten "einfachen Leuten"; daraus darf ich, so rede ich mir zu, den Mut schöpfen, weiterzureimen.

Warum ich - wenn auch nicht mehr so hastig wie früher, aber immer noch - reime, hat seinen Grund darin, daß ich bei aller Schwatzwilligkeit unfähig bin, mich in Prosa auszudrücken, geschweige denn freie Verse zu verfassen. Die Gesetze der reimlosen Lyrik wollen sich mir nicht erschließen; ich beschränke mich im Grunde auf den grell gereimten Vers und bevorzuge strenge Formelemente.

Das hat nichts mit meiner einstigen Tätigkeit als Mathematiker zu tun. Vielmehr spielt hier die eigene Unsicherheit in der Bewertung des Geschriebenen eine Rolle. Die handfeste Struktur verleiht ihm, so scheint es mir, von vornherein ein größeres Anrecht darauf, gedruckt stehen zu bleiben.

Meine Texte haben kein besonderes Thema, sie reflektieren dieses und jenes, sind Äußerungen zur Befindlichkeit einer bestimmten Person in ihrer Zeit, in ihrer nächsten und weiteren, hauptsächlich gesellschaftlichen Umgebung. Die Tonart ist vorwiegend ironisch, satirisch, zuweilen sarkastisch. Ich neige eher zur Verknappung als zur Ausführlichkeit, mehr zur eindeutigen Aussage als zur Metapher; an der Sprache sehe ich die semantische Funktion deutlicher als die Schönheit. Damit bin ich "nicht zum Lyriker bestimmt". Man könnte mich Versbauer nennen.

Aber weit mehr und inzwischen viel lieber bin ich Versnachbauer. Mit den Übertragungen ins Deutsche verdiene ich nicht nur mein Brot, ich lerne auch daran. Grundlagen, Methoden und handwerkliche Fertigkeiten des Fachgebietes, auf das ich mich per Beschluß recht plötzlich einließ, werden mir zunehmend bekannter. Außerdem hat das Nachdichten seinen spezifischen Reiz. Es ist eigentlich unmöglich, Gedichte aus einer Sprache in die andere zu übersetzen, und doch geschieht es: eine unlösbare Aufgabe wird in einer Annäherung, als Kompromiß gelöst. Diese Arbeit gefällt mir so sehr, daß ich bei Vorliegen einer ausreichenden Zahl von Aufträgen auf die Anfertigung eigener Texte vielleicht sogar ganz verzichten könnte.

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Erinnerungsveranstaltung