Geigerzähler am Orchester



Im Mittelpunkt

Umamtet und umstaatet,
ummauert und umdrahtet,
umpresst, umfilmt, umfunkt:
der Mensch im Mittelpunkt.

1964


Geh- und Sehgrenzen

Verboten ist, zu weit zu gehen,
und unerlaubt, zu fern zu sehen.

1964
 



Sparen beim Säubern

Im Schmutz und Staub von Bitterfeld
spart man partout beim Säubern Geld:
zum Schuhe- und zum Fensterputzen
läßt sich derselbe Lappen nutzen.

1970
 


Gefahr unkollektiven Studierens

Irregeht, wer isoliert
seinen Marx für sich studiert.

1974

 

Häufigste Mangelware

In der Selbstbedienungshalle
sind zuerst die Körbe alle.

1974


Beine und keine

Lügen haben kurze Beine;
unser Morgenblatt hat keine.

1976

 

Natürlicher Nichtwuchs

Natürlich wächst kein Kopf-Salat
im Arbeiter- und Bauernstaat.

1979



Seufzer der Weisheit

Ach, wie schwer hat’s
mancher Lehrsatz
mit den Leuten,
die ihn deuten.

1983

 

Lange Kau-Übung

Das Kauen von Bananen üben
wir lange schon an roten Rüben.

1986

 

Beste Art von Witzen

Das ist die beste Art von Witzen:
Pointe und Erzähler sitzen.

1987

 

Warten auf den Nachtbus

Derweil ich auf den Nachtbus warte,
verfällt mir meine Monatskarte.

1988

 

Nötige Sicherung der Wahlergebnisse

Wenn die Bürger fälschlich wählen,
muß das Wahlamt richtig zählen.

1989

 

Keine Laufbehinderung

Der Sozialismus hält den Lauf
von Esel und von Ochs nicht auf.

1989

 

Rückblickender DDR-Bürger

Ich habe viel in vierzig Jahren
erstanden, doch fast nichts erfahren.

1989

 

Zeitbedarf historischer Änderungen

Für den Abbruch von Epochen
braucht man mindestens acht Wochen.

1989



Öffentlichkeits-Ausbruch

Plötzlich horchen, schwatzen, gaffen
selbst die heiligen drei Affen.

1990

 

Nach dem Abbruch von Epochen

Mancher findet sich nun schlecht
oder gar nicht mehr zurecht.

1990

 

Wahlsieger Geist

Wahlsieger war – ich denke wie Sie –
letztlich der Geist der Demarkotie.

1990

 

Echtes Fett

Es schwimmt in jeder Suppensorte
das echte Fett am höchsten Orte.

1990

 

Weg am Bächlein

Der Weg am Bächlein macht bewußt:
das Müllen ist des Wandrers Lust.

1990

 

Staatsvolk nach dem Sturz der Staatsmacht

Zunächst nur reinste Opfer. Später
wird der und der ein wenig Täter.

1990

 

Das wahrhaft Neue neuer Zeiten

Das wahrhaft Neue neuer Zeiten
besteht aus deren Schwierigkeiten.

1991

 

Nicht mehr auf dem Laufenden

Ich bin bei dem zu Kaufenden
nun nicht mehr auf dem Laufenden.

1991

 

In Furcht vor der Bezahlung

Der Mietpreis stieg ums Fünffache auf einen Schlag,
es kostet neunmal mehr als einst der Omnibus.
Ich hock im Dunkeln, frierend, fürchte jenen Tag,
an dem ich meine Atemluft bezahlen muß.

1991

 

Spitzel-Ersatz

Nun gibt es keine Spitzel mehr, und schon
beschafft sich jeder einen Türspion.

1991

 

Vom Lassen vom Auto

Die Umwelt schonend, lassen
auf Wegen, Wiesen und an Seen
die Leute nun in Massen
für immer ihre Autos stehn.

1991



Volk hinter Bergen

Lange, über vierzig Jährchen,
so beginnt ein düstres Märchen,
lebte einst ein Volk von Zwergen
hinter hohen Aktenbergen …

1992

 

Optimist zu jeder Zeit

Zu jeder Zeit ist der ein Optimist,
der eines Besseren belehrbar ist.

1992

 

Verkaufs-Idee

Warum verkauft das Treuhand-Amt
die Ostländer nicht insgesamt,
schön neu umzäunt mit Stacheldraht
und Mauer, als Museums-Staat?

1992

 

Erfordernisse intensiver Landschaftspflege

Benötigt werden für die intensive Landschaftspflege
mehr asphaltierte Straßen und mehr betonierte Wege.

1992

 

Bedeutungsfortbestand

Die Wertbedeutung der Nation
wird auch in Zukunft nicht verflachen;
man kann als einzelne Person
nicht alle Fehler selber machen.

1993

 

Verpacktes Qualitätsprodukt

Das Qualitätsprodukt besitzt drei Achtel
des Rauminhaltes der Verpackungsschachtel.

1993

 

Meister im Osten

Nun ist im Osten jeder Meister
ein aus dem Westen Angereister.

1994


Ins Staubtuch geschluchzt

Man widersetzt zeitlebens
dem Staube sich: vergebens.

 

Staunenswerte Vermehrung

Staunenswert: aus einem Biere
werden meistens zwei, drei, viere …

 

Säugetier Mann

Erst Muttermilch, dann Vaterbier –
es ist der Mann ein Säugetier.

 

Raucher im Bette

Mancher Raucher raucht im Bette
seine letzte Zigarette.

 

Gut passendes Sparschwein

Gut passt zu meinem Geldbesitz
ein Sparschwein ohne Einwurf-Schlitz.

 

Schönen Feldes Dungbedarf

Es braucht die Kunst, das schöne Feld,
den Dünger, der nicht stinkt: das Geld.

 

Vornehmes Früchtchen

Der Fürsich ist nicht sehr beglückt,
falls ihn ein andrer Fürsich drückt.

 

Besonders schwer zu zügeln

Es ist oft schwer, ein Pferd zu zügeln,
besonders eines mit zwei Flügeln.

 

Nächtliche Katzensuche

Zur Nacht, im Katzengraubereich,
hilft wenig ein Miau-Vergleich.

 

Vor dem Schenken

Man soll zuweilen vor dem Schenken
den Dank, der folgen kann, bedenken.

 

Nach dem Schenken

Man soll zuweilen nach dem Schenken
den Dank, der folgte, überdenken.

 

Düsterer Gedanken-Gang

Ein düsterer Gedanken-Gang
ist selten tief, doch häufig lang.

 

Verhoffbares Leben

Man hält dem Glück die Tür weit offen.
Es ist bis jetzt nicht eingetroffen.
So läßt das Leben sich verhoffen.

 

Bild vom Glücke

Einst stürzte eine Mücke
von einer hohen Brücke
und brach sich nichts in Stücke:
das ist mein Bild vom Glücke.

 

Platzbedarf teuren Stückes

Du möchtest Glück?
Wirf Wunsch auf Wunsch hinaus!
Ein teures Stück
braucht sehr viel Platz im Haus.

 

Gut passende Last

Auf schon gebeugte Rücken paßt
das Unglück gut als Tragelast.

 

Schwierigstes Aufrechtbleiben

Am schwersten fällt das Aufrechtbleiben
bei dem, was wir im Liegen treiben.

 
 

Beklagtes Sagen

Alle echten Schwätzer klagen
über das, was andre sagen.

 

Nicht jedem gegeben

Gegeben ist nicht einem jeden
nichtssagend, aber viel zu reden.

 

An guten und an schlechten Tagen

Ich schweige gern an guten Tagen;
an schlechten muß ich etwas sagen.

 

Redners Vorbild

Ein Vorbild gebend, faßt die Katze
das, was sie will, in einem Satze.

 

Seemännischer Schluß

Manchmal fällt das letzte Wort
wie ein Kapitän von Bord.

 

Erwarteter Redeschluß

Auch dem besten Redner spendet
man viel Beifall, wenn er endet.

 

Sieben und ein achter

Sieben Psychotherapeuten
können einen achten deuten.

 

Geheiltes Grausehen

Früher sah ich (ungenau)
diese Welt stets grau in grau.
Nach Behandlung durch die Ärzte
seh ich heute nur das Schwärz’ste.

 

Krisenfester Beruf

Ein Beruf, ein krisenfester:
Geigerzähler am Orchester.

 

Ein Spruch vom Schlaf

Ein Spruch vom Schlaf (ein allgemeiner):
Je älter, desto mehr alleiner.

 

Verfrühte Schließung

Es wird oft vor Beginn der Nacht
bereits ein Auge zugemacht.

 

Gute Empfangszeit

Zum Empfang von Schreckenskunden
eignen sich die Abendstunden:
eh man aufseufzt oder schreit,
kommt bereits die Schlafenszeit.

 

Nur vom Leibe

Von der Seele nicht – ich schreibe
mir den Ärger nur vom Leibe.

 

Nichts zu machen

Schreibe ich nur eine Zeile, reimen sich die Einzelteile.

 

Seufzer des Spruchmachers

Ach, es läßt sich mit zwei Zeilen
niemand von Romanen heilen.

 

Zitierungs-Nöte

Mit Zitaten habe ich oft meine Nöte.
Sind sie von Giller, oder sind sie von Schoethe?

 

Schönes Überbleibsel

Alle Töne, die nicht passen,
sind beim Wohlklang weggelassen.

 

Schrecken der Seefahrt

Jeder echte Dampfer tutet
immer völlig unvermutet.

 

Vermeidbares Geräusch

Nachbars sollten ihre Betten
wenn nicht leimen, so doch fetten.

 

Im Großen und im Kleinen

Es heißt, die Erde wäre kugelrund.
Das gilt, was man sehr bald bemerkt, im Großen.
Im Kleinen ist sie eckig, kantig und
gibt ständig Anlaß, sich an ihr zu stoßen.

 

Wert großen Kummers

Ein großer Kummer ist kein Grund zum Greinen:
der eine große schützt vor allen kleinen.

 

Rasch befriedigter Wunsch nach Gemeinschaft

Man fühlt sich einsam. Kaum zu zweit,
hat man genug Geselligkeit.

 

Unerschütterlichkeit

Schamrot wird man beim Betrachten
des bis heute falsch Gemachten.
Nach dem Abklang solcher Reue
geht man munter an das Neue.

 

Modische Benamung

Alle selbstbewußten Damen
tragen modisch Doppelnamen.

 

Eigenverantwortung

Wie man sich bettet, so liegt man.
Wie man sich rettet, so siegt man.
Wie man verfettet, so wiegt man.

 

Flottestes Hineingeraten

In nichts gerät man so flott
wie in gemächlichen Trott.

 

Nicht nur im Freien

Nicht jenes nur, was man im Freien macht,
ist wenig oder gar nicht überdacht.

 

Wann sind wir alt?

Wann sind wir alt? Dann, hör ich sagen,
wenn wir beim Senkelbinden an den Schuhn
uns, tiefgebeugt, am Boden fragen:
Was ist hier unten weiteres zu tun?

 

Jubilierzeiten im Alter

Sogar im Alter kommen ein paar Zeiten
zum Jubilieren:
wenn uns nicht alle Leidenswidrigkeiten
zugleich traktieren.

 

Entwicklung im Alter

Mit den Jahren werden viele
erst Senioren, dann Senile.

 

Höchstlob-Vergabe

Es wird das höchste Lob im Leben
an frisch Verstorbene vergeben.

 

Zeitgewinnungs-Möglichkeit

Du brauchst Zeit? Verkauf die Herde
der gerittnen Steckenpferde!

 

Schlag auf Schlag

Im Leben geht es Schlag auf Schlag.
Bald ist schon wieder Donnerstag.

 

Vertreibungsfolge

Wie sollte uns ein Quentchen Zeit
zu ruhiger Besinnung bleiben,
da wir mit großer Eifrigkeit
uns alle freie Zeit vertreiben?

 

Erinnerungsvermögen

Nur Augenblicke bleiben jung
in unserer Erinnerung,
und Monat, Jahr und längre Zeit
geraten in Vergessenheit.

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Autobiografische Notizen
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